Zwei Löffel Licht und ein Armbändchen Wahrheit.
- Giuseppe Vazzano
- 29. Juli
- 2 Min. Lesezeit
Es ist einer dieser Tage, an denen die Sonne so golden scheint,
dass man fast vergisst, wie leer man sich fühlen kann,
wenn man gerade wieder auf einem Visionboard gestrandet ist.
Sie kommen gegen Mittag.
Zwei Energien in Bewegung.
Beide komplett aligned, wie sie sagen würden.
Oder zumindest sehr überzeugt davon.
Die eine trägt ein „Agilement“-Shirt.
Die andere ein „I’m in my Higher-Self“-Totebag.
Beide tragen Armbändchen - Sisterhood Edition - .
Aufschrift: Connected. Empowered. Sacred as fuck.

Sie schreiten nicht – sie manifestieren sich an den Tisch.
Setzen sich in exakt 90-Grad-Winkel zur Sonne,
damit das Licht ihre Schatten betont, aber nur die integrierten.
Die eine zückt ihr Notizbuch: Leinen, beige, eingewebte Affirmationen.
Die andere schließt die Augen. „Ich verbinde mich kurz mit dem Raum.“
Ich trete raus.
„Was darf’s sein?“
Sie lächeln.
So ein Lächeln, das gleichzeitig heilt, urteilt und lauwarmen Kakao serviert.
„Hast du was mit Hafer? Oder ein intuitiv gebrühtes Cacao-Ritual.
Idealerweise zeremoniell, aber nicht zu heftig, ich bin heute sensitiv.“
„Oder ein adaptogenes Matcha-Maca-Latte mit Hirsemilch.
Optional mit kolloidalem Gold, aber nur, wenn die Bohne vorher gesegnet wurde.“
Ich nicke nicht.
Ich sage nur: „Hab ich nicht.“
Sie zucken synchron.
Die eine kramt nach einem Kristall.
Die andere flüstert: „Du, ich glaub, der ist nicht im Flow.“
„Ich hab Espresso“, sag ich.
Einfach so.
Drei Silben. Ohne Hashtag.
Wie ein Plädoyer für Klarheit in einer Welt voller Passwort-Poesie.
Die eine schaut mich an, als hätte ich gerade ihr inneres Kind gecancelt.
Die andere sagt nichts.
Sie lädt das Feld nochmal auf.
Ich drehe mich um, gehe rein.
Zwei doppelte.
Schwarz.
Schlicht.
Wesentlich.
Als ich zurückkomme, stelle ich die Tassen ab.
Keine Deko. Kein Mantra. Kein Topping.
Die eine murmelt was von „zu maskulin“.
Die andere spürt erst mal rein.
Stille.
Dann nimmt sie die Tasse.
So wie man einen dunklen Spiegel anfasst, den man nicht bestellt hat.
Sie trinkt.
Und plötzlich ist da:
Kein Alignment.
Kein Embodiment.
Kein Vibe.
Nur Geschmack.
Wirklich. Geschmack.
Ich sehe sie an.
Ganz ruhig.
„Wenn du nichts spürst, verspreche ich dir bei meiner Barista-Ehre – ich höre auf mit dem Zeug.“
Ihr Blick flackert.
Wie ein Feed, der kurz nicht lädt.
Dann kommt nichts.
Und genau darin liegt alles.
Ich gehe wieder rein.
Zwei leere Tassen bleiben zurück.
Und vielleicht das erste Mal seit Jahren
ein Moment, in dem niemand connected war,
sondern einfach da.
Commenti