Heute ist Weltspartag / Ein Schatz aus Tagen
- Giuseppe Vazzano

- 31. Okt.
- 3 Min. Lesezeit
Heute Morgen bei der Bank.
Vor mir steht ein kleiner Junge, kaum größer als das Tresenfenster. Auf dem Arm trägt er ein rosafarbenes Sparschwein, das fast so groß ist wie sein Kopf. Er stellt es behutsam auf den Schalter, als wäre es ein Schatz aus einer Piratenhöhle.
Die Bankmitarbeiterin öffnet den Bauch des Schweinchens, Münzen klimpern aufs Zählbrett. Der Junge strahlt, als hätte er gerade das Weltmeer entdeckt. Hinter mir lächelt ein älterer Herr – und ich ertappe mich dabei, wie ich den Klang der Münzen in meinem Bauch spüre.
Vielleicht, denke ich, sind wir irgendwann erwachsen geworden und haben vergessen, wie wertvoll jede einzelne Münze ist, bevor sie im System verschwindet. Vielleicht klimpern unsere Tage genauso leise und wir hören schon gar nicht mehr hin.

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Dein Leben ist kein Kleingeld
Heute ist Weltspartag. Die Banken verteilen Kugelschreiber und Kalender, und irgendwo klimpern Schweinchen aus Keramik. Aber das Bild von heute Morgen lässt mich nicht los: dieser Junge, der sein Sparschwein stolz abgibt, jede Münze zählt.
Wir Großen?
Wir verteilen unsere „Münzen“ – unsere Tage – oft ohne Stolz. Wir lassen sie in Jobs zerrinnen, die uns müde machen. Wir schenken sie Diskussionen, die nur Staub aufwirbeln. Und wenn das Leben schmerzt, rufen wir: „Ich muss mich nur noch mehr selbst lieben.“ Dann basteln wir am Selbstliebe-Projekt herum, als ginge es um ein defektes Auto.
Aber vielleicht geht’s gar nicht darum, noch härter an dir herumzufeilen. Vielleicht geht’s darum, den Klang deiner Münzen wieder zu hören. Dein Leben ist kein Kleingeld für die Kassenschublade anderer.
Spür mal in deine Tasche: Da klimpert etwas Kostbares. Stell dir vor, jeder Tag ist eine Goldmünze. Hüte deinen Schatz. Gestalte dein Leben. Alles andere – auch die Selbstliebe – passiert unterwegs, wenn du wirklich lebst.
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Espresso-Geschichte: „Dein Schatz aus Tagen“
Ein gewöhnlicher Herbstvormittag.
Drinnen klirren Espressotassen, irgendwo draußen vermischen sich Stimmen mit dem kalten Wetter auf der Piazza.
Francesca sitzt mit ihrer kleinen Tochter an ihrem Lieblingsplatz. In der Nähe der Spielecke. Das Mädchen malt Spiralen und Sonnen auf ein Blatt, Francesca nippt an ihrem Espresso und lächelt ihr zu.
Die Tür geht auf.
Eine Frau tritt ein, Blick gesenkt, murmelt ein leises „Hallo“ und zieht sich in die hinterste Ecke zurück. Kurz darauf beginnen ihre Schultern zu beben, Tränen tropfen auf den Tisch.
Ich sehe sie. Atme kurz durch und mache einen Espresso. Doch bevor ich zu ihr hingehen kann, steht Francesca schon vor mir.
Ein kurzer Blick zwischen uns, sie versteht. Sie nimmt die Tasse, geht zu der Frau und stellt sie vor sie hin. „Hier“, sagt sie leise.
Die Frau sieht auf, wischt sich die Wangen und nippt zögerlich. „Ich dachte immer,“ flüstert sie, „wenn ich mich nur genug selbst liebe, wird alles besser. Aber es wurde nie besser.“
Francesca nickt langsam. „Selbstverständlich. Ich kenne das, mir ging es genauso.“
Die Frau sieht sie erstaunt an. „Und… was hast du gemacht? Wie ist es dir gelungen?“
Francesca lehnt sich zurück, ein kleines, wissendes Lächeln auf den Lippen. „Ich kam auch mal hierher. So wie du. Und er stellte mir einen Espresso hin, mit nur einer Frage:
Wie viel ist dir dein Leben wert?“
Die Frau schluckt, schaut in die Tasse. „Natürlich… unendlich wertvoll.“
„Gut,“ sagt Francesca sanft. Sie macht eine kleine Pause, als zähle sie unsichtbare Münzen auf der Tischkante. „Dann stell dir vor, jeder einzelne Tag deines Lebens ist eine Goldmünze.
Und jetzt frag dich:
Wie viele hast du schon verschenkt? An Jobs, die dich klein machen? An Menschen, die deine Grenzen übertreten? An Zweifel, die dich lähmen?“
Ein Löffel klirrt vorn an der Theke. Die Tochter kichert, weil ein Blatt Papier vom Tisch gerutscht ist. Francesca beugt sich wieder vor. „Hör auf, deine Selbstliebe ständig optimieren zu wollen."
Fang an, dich ernst zu nehmen. Fang an, dein Leben zu schmecken. Fang an, diesen Schatz zu hüten.
Draußen weht ein Blatt über das Kopfsteinpflaster, landet neben dem Bild der Kleinen. Die Frau atmet tief durch. Und für einen Moment schmeckt der Espresso im ganzen Raum stärker, wärmer, lebendiger.











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