Fünf Gäste und ein halber Espresso
- Giuseppe Vazzano
- 1. Aug.
- 2 Min. Lesezeit
Die Tür klemmt ein bisschen heute.
Zu viel Regen in der Nacht.
Ich schiebe sie mit dem Knie auf.
Draußen graut der Morgen.
Drinnen flimmert leise sein Song von Celentano.
Eines dieser Lieder,
die mehr Gefühl zulassen,
als manch anderer in einem ganzen Leben.
Die Stühle sind noch nicht ganz gerade,
der Boden klebt ein bisschen vom Vorabend.
Aber an Tisch drei sitzt schon jemand.
Ich erkenne sie an der Haltung.

Die Wut.
Nicht die laute.
Die, die sich wie ein Knoten in die Schultern frisst.
Sie schaut aus dem Fenster,
als würde sie den Himmel auffordern,
endlich zu explodieren.
Ihr Espresso ist halb leer.
Zu stark. Zu heiß. Genau richtig.
Zwei Tische weiter: die Angst.
Sie hat sich den Stuhl in die Ecke gezogen.
So halb im Licht, halb im Schatten.
Die Finger an der Tasse,
als müsste sie sich daran festhalten,
um nicht zu verschwinden.
Ihre Jacke hängt noch –
bereit zum Fliehen.
Aber sie bleibt.
Heute bleibt sie.
Die Sehnsucht ist irgendwann dazwischen reingeschlüpft.
Ich habe sie nicht kommen hören.
Wie immer.
Sie hat sich den Fensterplatz genommen,
die Schuhe ausgezogen
und rührt mit dem kleinen Löffel so lange im leeren Glas,
bis das Geräusch zur Musik wird.
Sie trägt ein Kleid, das nach gestern riecht
und Augen, die sich an Morgen festhalten.
Und dann –
öffnet sich die Tür noch einmal.
Die Freude kommt rein wie ein Windstoß.
Barfuß, mit roten Lippen und einem Croissant in der Hand,
das sie nicht bezahlt hat.
Sie wirft ihre Jacke auf den Tresen,
umarmt die Angst flüchtig
und setzt sich zu ihr,
als wäre alles ein Spiel.
Die Trauer steht noch draußen.
Sie raucht.
Zwei Züge,
dann wirft sie den Stummel weg
und tritt langsam ein.
Kein Gruß. Kein Blick.
Nur dieser Gang,
der alles in sich trägt.
Vergangenheit, Verlust,
und doch ein bisschen Würde.
Mehr als manch einer aushält.
Ich stelle die Espressotassen hin,
eine nach der anderen.
Nicht der Reihenfolge nach.
Sondern nach Gefühl.
Die Milch bleibt heute in der Küche.
Niemand hat danach gefragt.
Die Luft riecht nach nassem Holz,
nach altem Tabak
und nach dieser einen Wahrheit,
die keiner ausspricht:
Wir sind alle hier.
Und wir sind alle echt.
Ich lehne mich an den Tresen.
Kein Wort.
Nur ein Nicken.
Dann setze ich mich dazu.
Und für einen Moment
atmet der ganze Raum wie ein Körper,
der sich endlich traut, nicht stark zu sein.
Espresso dampft.
Der Regen tropft leise von der Kante.
Und keiner muss irgendwas werden.
Nur bleiben. Mit allem, was ist.
Das reicht.
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