Du musst dich nicht wiederfinden. Du warst nie weg. Aber du warst auch nie wirklich da.
- Giuseppe Vazzano
- 29. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Es gibt so einen Ausdruck,
den hört man überall in der Persönlichkeitsentwicklung,
im Coaching, in spirituellen Kreisen, auf Instagram unter Sonnenuntergängen:
„Ich will mich selbst wiederfinden.“
Und ich geb’s ehrlich zu:
Ich hab den früher auch benutzt.
Weil er irgendwie schön klingt.
Nach Heimkommen. Nach Sinn.
Nach einem inneren Kompass, der dich durch den Nebel führt.
Aber jedes Mal, wenn ich das gesagt hab,
hat sich bei mir innerlich etwas zusammengezogen.
Wie ein falscher Ton.
Ein Gefühl von: Da stimmt was nicht.
Und irgendwann hab ich’s kapiert.
🔍 Der Denkfehler im „Wiederfinden“
Um etwas wiederzufinden,
muss es doch vorher da gewesen sein, oder?
Ein verlorener Schlüssel.
Eine alte Freundschaft.
Ein Gefühl von Zuhause.
Aber was ist mit dem Selbst?
Mit dem echten, rohen, wahren Ich?
Hatten wir das überhaupt?
Waren wir je wirklich bei uns?
Die meisten von uns – und ja, ich schließ mich da ein –
sind aufgewachsen in einem System,
das uns sehr früh gesagt hat, wie man zu sein hat.
Was richtig ist.
Was sich gehört.
Was man nicht sagt, nicht tut, nicht denkt, nicht fühlt.

Wir haben gelernt zu funktionieren,
zu gefallen,
zu genügen.
Und das in einem so jungen Alter,
dass wir das gar nicht als Anpassung erkannt haben –
sondern als Identität.
Aber das war nicht „ich“.
Das war Überleben.
Performance.
Zugehörigkeit um jeden Preis.
☕️ Und weißt du, wie sich das anfühlt?
Stell dir vor, du wächst in einer Welt auf,
in der dir alle sagen:
„Du bist Kamillentee.“
Nicht böse gemeint.
Einfach so, wie man es halt macht.
Sie sagen:
Kamillentee beruhigt.
Kamillentee ist freundlich.
Kamillentee ist angenehm, tut gut, ist nie zu laut.
Kamillentee lächelt, auch wenn er müde ist.
Kamillentee passt. Immer.
Und weil du dazugehören willst,
lernst du, wie Kamillentee sich benimmt.
Wie Kamillentee riecht.
Wie Kamillentee sich verkauft.
Wie man still wird, sanft, angepasst.
Du wirst gut darin.
So gut, dass irgendwann alle sagen:
„Ach, du warst schon immer Kamillentee.“
Irgendwann merkst du, dass passt nicht.
Da ist so ein Bitternote, den keiner schmeckt außer dir.
Eine Ahnung, dass du vielleicht gar kein Kamillentee bist.
Sondern etwas anderes.
Stärker.
Dunkler.
Wacher.
Vielleicht ein Espresso.
Aber wie willst du das wissen,
wenn du nie die Chance hattest, dich zu kosten?
Du kannst keinen Espresso „wiederfinden“,
wenn dir dein ganzes Leben gesagt wurde,
du seist Kamille –
und du dich nie getraut hast zu fragen:
Was, wenn ich’s nicht bin?
❤️🔥 Und genau darum geht’s.
Nicht um Wiederfinden.
Sondern um Erlauben.
Entdecken.
Erleben.
Mit jeder Zelle.
Mit jeder Falte deiner Seele.
Nicht auf Knopfdruck.
Sondern als langsames, ehrliches, verkörpertes Erforschen:
Wie fühlt sich mein Ja an?
Wie klingt mein echtes Nein?
Was will mein Körper, wenn ich ihn nicht kontrolliere?
Was will meine Seele, wenn ich ihr zuhöre?
Was bleibt übrig, wenn ich aufhöre, jemand zu sein?
Und das?
Das ist eine Revolution.
Still.
Intim.
Wahr.
Du wirst dich nicht „finden“
wie ein verlegtes Portemonnaie.
Du wirst dich vielleicht
zum ersten Mal bauen,
atmen,
sein.
Und das braucht Mut.
Weil es nichts gibt, woran du dich festhalten kannst.
Keine Version von „früher“,
keine klare Idee von „so bin ich halt“.
Nur dich.
Jetzt.
Unfertig.
Ehrlich.
Ganz.
Also wenn du das nächste Mal spürst,
dass irgendwas fehlt,
und du dich fragst,
wie du dich selbst wiederfinden kannst –
Dann atme.
Und frag dich lieber:
Bin ich bereit, mich zum ersten Mal zu erleben –
nicht so, wie ich sein soll,
sondern so, wie ich bin?
Wenn ja –
dann bist du genau da, wo es beginnt.
Nicht im Wiederfinden.
Sondern im Entdecken.
Mit Haut.
Mit Herz.
Mit dir.
Grazie.
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